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Rücktrittskultur
Österreich beobachtet einen Untersuchungsausschuss, der Korruptionsvorwürfen nachgeht, bereits einige interessante Erkenntnisse gebracht hat und insgesamt bisher durch akkurate und seriöse Arbeit auffällt. Komplimente an die Vorsitzende gibt es von allen Seiten. Wenn es unbequem wird, soll sie aber zurücktreten. Ein Formalfehler wird ihr zur Last gelegt, der Disput wird ausgeräumt, juristisch wird der Fehler im Übrigen relativiert, abgesehen davon ist er reparabel und ohne schwerwiegende Folgen auf das weitere Procedere. Egal: Die Regierungsparteien beharren am Rücktritt. Die Vorsitzende tut ihnen leider nicht den Gefallen, jene Reaktion zu zeigen, die für sie selbst offenbar die einzig denkbare ist, und mit welcher sie spekuliert haben, um weiterhin den schwarzen Peter von sich abzuschütteln, nämlich auf einem Sessel kleben zu bleiben. Die Vorsitzende behält den Überblick und unterwirft persönliche Eitelkeit demokratiepolitischer Vernunft, um den Ausschuss unter anderem Vorsitz weiterarbeiten zu lassen: Sie tritt zurück.
Das trifft die Regierungsparteien dermassen unvorbereitet, dass einen Tag lang von ihnen fast gar nichts zu hören ist. Das, was vernommen wird, ist so unendlich blöd, dass es nicht wiederholt werden muss. Von politischem Taktieren seitens der Partei der eben zurückgetretenen Vorsitzenden wird in die Mikrofone genuschelt. Es ist nicht vorstellbar, dass persönliche Interessen hintangestellt werden, um Einrichtungen wie einen Untersuchungsausschuss gewähren zu lassen, um Wahrheiten herauszufinden. Für sie selbst scheint ein solches Reagieren auf Situationen vollkommen ausgeschlossen: Eine Entscheidung zu treffen, die keinen unmittelbaren persönlichen Vorteil mit sich bringt um der Weiterführung einer grundvernünftigen Sache wegen, stellt wohl ein unvorstellbares Ereignis dar, das auf einem Paradoxon basiert, dem diese Regierung aufsitzt. Es erinnert an Zenons Wettrennen von Achilles mit der Schildkröte: Achilles kann das Rennen, bei welchem die Schildkröte einen Vorsprung bekommt, nicht gewinnen, weil sie in der Zeit, da Achilles den Vorsprung aufholt, bereits einen weiteren, wenn auch kleineren Vorsprung, herausgeholt hat, den Achilles wiederum erst aufholen müsste etc. So haben sich es die Kollegen von der Regierung vorgestellt: Durch ständiges Fordern nach dem Rücktritt immer wieder einen kleinen Vorsprung herauszuholen. Tatsächlich überholt ein schnellerer Läufer aber immer einen langsameren, früher oder später. Dass so etwas im echten Leben auch passiert, damit war nicht zu rechnen. Zu sehr ist man in der konstruierten Scheinwelt verankert, in der stilloses Ausnützen der Regeln zur Verhinderung der Untersuchungen an der Tagesordnung steht und Korruption nicht nur als Kavaliersdelikt gilt, sondern ein Selbstverständnis darstellt, dass die Dinge, die draussen in der echten Welt vor sich gehen, nicht mehr wahrgenommen werden. Wenn doch, werden sie sofort in Frage gestellt und in die Scheinwelt integriert und assimiliert. Wenn aber ein Bruch mit dieser Scheinwelt in dieser Klarheit und Größe passiert, herrscht Stillstand und Staunen.
Warum an den Stuhlbeinen der Vorsitzenden gesägt wird, ist so offensichtlich, dass es selbst abgebrühten Politikkonsumenten den Atem raubt, aus dem simplen Grund, von offensichtlich nur durchschnittlich bis mäßig begabten Politakteuren offensiv für noch dümmer gehalten zu werden. Ab da nämlich weicht die Verdrießlichkeit Zorn. Erwachsene Menschen, die dazu gewählt werden, einen Staat zu lenken, der eigentlich in einem passablen Gesamtzustand sich befindet, gebärden sich, als gäbe es erstens niemals mehr Wahlen und zweitens keine Archive, wo all der Unfug gelagert wird, den sie gerade von sich geben. Bedauerlicherweise zielt das politische Handeln schon lange nicht mehr darauf ab, Kultur im Umgang miteinander zu pflegen und verschiedene Ansichten in demokratiepolitischen Diskursen und Kompromissen zu funktionierenden Ergebnissen zu führen. Stattdessen liegt der Fokus genau nach Erstellung einer Regierungskoalition, was sehr lange dauern kann, auf den nächsten Wahlen, die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre, eine Erfindung ausgerechnet dieser Koalition, erscheint geradezu lächerlich. Nicht zufällig stehen kurz vor der vorzeitigen oder im Eiltempo zu bewältigenden Beendigung dieses bisher gut laufenden Untersuchungsausschusses die höchsten politischen Funktionäre und die großen Zeitungen des Kleingeistformats in engstem Zusammenhang. Dank der katastrophalen Mediensituation in diesem Land kann das Niveau ausreichend niedrig gehalten werden, um an der verhöhnten Wählerschaft die tatsächlichen Vorkommnisse und Skandale vorbeizuschwindeln, weil eine Hand die andere wäscht, so einfach sind die Dinge. Das Argument, dass seinerzeit (wir erinnern uns an Robert Hochners schönen Satz „Die Rache des Journalisten ist das Archiv“) von der Regierung oft zu hören war, wenn von der Opposition berechtigte Zweifel am legeren Umgang mit Daten gehegt wurden, dass niemand was zu befürchten habe, wer nichts zu verbergen hat, schlägt gerade in diesen Tagen mit lautem Knochensplittern wie ein Bumerang in die Köpfe der Verhinderer und Blockierer des Untersuchungsausschusses. Zumindest werden diese Leute niemals Probleme mit den Bandscheiben haben, da sich zwischen ihnen schon längst kein Rückgrad mehr befindet. Dass Korruption die liebsten Feinde der Nation so eng aneinander schweißt, treibt uns Tränen der Rührung in die Augen. Sollten diese bis zu den nächsten Wahlen einen klaren Blick gefunden und auf den Wahlzettel geschärft haben, könnten Berge versetzt werden. Zu befürchten gibt es aber wesentlich mehr als zu erhoffen, zumal sich kaum jemand darüber aufregt, wenn ein Oppositionspolitiker eindeutig antisemitische Karikaturen veröffentlicht und den Betrachtern vorwirft, ein Problem mit Antisemitismus zu haben, da welcher in dieser Zeichnung erkannt wird, was nicht nur widerwärtig und unappetitlich, sondern vor allem strohdumm ist: Den könnte man ja noch brauchen. Das solche Leute tatsächlich für politische Regierungsämter vorstellbar sind aus reinem Machtkalkül sagt alles aus über den politischen Zustand in diesem Land. Zum allgemeinen Verständnis der Medien insgesamt: Die Forderung nach weiteren Akten für einen Ausschuss, der zum Torso verkümmert ist, wird in Radionachrichten mit der Bemerkung „Ohne weiteren Aktionismus wird der Ausschuss auch weiterhin nicht auskommen“ bezeichnet. Außerdem wurde die Frage gestellt, ob es für die Opposition nun Sieg oder Niederlage darstellt, wie der Ausschuss weitergeführt wird. Darum geht aber nicht, um „Sieg oder Niederlage“. Die Koalition hat sich mit diesem unrühmlichen Ende eine riesige Niederlage selbst zugefügt, nach dem starken Beginn ein wahres Kunststück, den Versuch seriöser Arbeit schließlich doch noch in bewährter Manier in Schutt und Asche zu legen.
Bildrechte: Some rights reserved by Sirelroka
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Das trifft die Regierungsparteien dermassen unvorbereitet, dass einen Tag lang von ihnen fast gar nichts zu hören ist. Das, was vernommen wird, ist so unendlich blöd, dass es nicht wiederholt werden muss. Von politischem Taktieren seitens der Partei der eben zurückgetretenen Vorsitzenden wird in die Mikrofone genuschelt. Es ist nicht vorstellbar, dass persönliche Interessen hintangestellt werden, um Einrichtungen wie einen Untersuchungsausschuss gewähren zu lassen, um Wahrheiten herauszufinden. Für sie selbst scheint ein solches Reagieren auf Situationen vollkommen ausgeschlossen: Eine Entscheidung zu treffen, die keinen unmittelbaren persönlichen Vorteil mit sich bringt um der Weiterführung einer grundvernünftigen Sache wegen, stellt wohl ein unvorstellbares Ereignis dar, das auf einem Paradoxon basiert, dem diese Regierung aufsitzt. Es erinnert an Zenons Wettrennen von Achilles mit der Schildkröte: Achilles kann das Rennen, bei welchem die Schildkröte einen Vorsprung bekommt, nicht gewinnen, weil sie in der Zeit, da Achilles den Vorsprung aufholt, bereits einen weiteren, wenn auch kleineren Vorsprung, herausgeholt hat, den Achilles wiederum erst aufholen müsste etc. So haben sich es die Kollegen von der Regierung vorgestellt: Durch ständiges Fordern nach dem Rücktritt immer wieder einen kleinen Vorsprung herauszuholen. Tatsächlich überholt ein schnellerer Läufer aber immer einen langsameren, früher oder später. Dass so etwas im echten Leben auch passiert, damit war nicht zu rechnen. Zu sehr ist man in der konstruierten Scheinwelt verankert, in der stilloses Ausnützen der Regeln zur Verhinderung der Untersuchungen an der Tagesordnung steht und Korruption nicht nur als Kavaliersdelikt gilt, sondern ein Selbstverständnis darstellt, dass die Dinge, die draussen in der echten Welt vor sich gehen, nicht mehr wahrgenommen werden. Wenn doch, werden sie sofort in Frage gestellt und in die Scheinwelt integriert und assimiliert. Wenn aber ein Bruch mit dieser Scheinwelt in dieser Klarheit und Größe passiert, herrscht Stillstand und Staunen.
Warum an den Stuhlbeinen der Vorsitzenden gesägt wird, ist so offensichtlich, dass es selbst abgebrühten Politikkonsumenten den Atem raubt, aus dem simplen Grund, von offensichtlich nur durchschnittlich bis mäßig begabten Politakteuren offensiv für noch dümmer gehalten zu werden. Ab da nämlich weicht die Verdrießlichkeit Zorn. Erwachsene Menschen, die dazu gewählt werden, einen Staat zu lenken, der eigentlich in einem passablen Gesamtzustand sich befindet, gebärden sich, als gäbe es erstens niemals mehr Wahlen und zweitens keine Archive, wo all der Unfug gelagert wird, den sie gerade von sich geben. Bedauerlicherweise zielt das politische Handeln schon lange nicht mehr darauf ab, Kultur im Umgang miteinander zu pflegen und verschiedene Ansichten in demokratiepolitischen Diskursen und Kompromissen zu funktionierenden Ergebnissen zu führen. Stattdessen liegt der Fokus genau nach Erstellung einer Regierungskoalition, was sehr lange dauern kann, auf den nächsten Wahlen, die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre, eine Erfindung ausgerechnet dieser Koalition, erscheint geradezu lächerlich. Nicht zufällig stehen kurz vor der vorzeitigen oder im Eiltempo zu bewältigenden Beendigung dieses bisher gut laufenden Untersuchungsausschusses die höchsten politischen Funktionäre und die großen Zeitungen des Kleingeistformats in engstem Zusammenhang. Dank der katastrophalen Mediensituation in diesem Land kann das Niveau ausreichend niedrig gehalten werden, um an der verhöhnten Wählerschaft die tatsächlichen Vorkommnisse und Skandale vorbeizuschwindeln, weil eine Hand die andere wäscht, so einfach sind die Dinge. Das Argument, dass seinerzeit (wir erinnern uns an Robert Hochners schönen Satz „Die Rache des Journalisten ist das Archiv“) von der Regierung oft zu hören war, wenn von der Opposition berechtigte Zweifel am legeren Umgang mit Daten gehegt wurden, dass niemand was zu befürchten habe, wer nichts zu verbergen hat, schlägt gerade in diesen Tagen mit lautem Knochensplittern wie ein Bumerang in die Köpfe der Verhinderer und Blockierer des Untersuchungsausschusses. Zumindest werden diese Leute niemals Probleme mit den Bandscheiben haben, da sich zwischen ihnen schon längst kein Rückgrad mehr befindet. Dass Korruption die liebsten Feinde der Nation so eng aneinander schweißt, treibt uns Tränen der Rührung in die Augen. Sollten diese bis zu den nächsten Wahlen einen klaren Blick gefunden und auf den Wahlzettel geschärft haben, könnten Berge versetzt werden. Zu befürchten gibt es aber wesentlich mehr als zu erhoffen, zumal sich kaum jemand darüber aufregt, wenn ein Oppositionspolitiker eindeutig antisemitische Karikaturen veröffentlicht und den Betrachtern vorwirft, ein Problem mit Antisemitismus zu haben, da welcher in dieser Zeichnung erkannt wird, was nicht nur widerwärtig und unappetitlich, sondern vor allem strohdumm ist: Den könnte man ja noch brauchen. Das solche Leute tatsächlich für politische Regierungsämter vorstellbar sind aus reinem Machtkalkül sagt alles aus über den politischen Zustand in diesem Land. Zum allgemeinen Verständnis der Medien insgesamt: Die Forderung nach weiteren Akten für einen Ausschuss, der zum Torso verkümmert ist, wird in Radionachrichten mit der Bemerkung „Ohne weiteren Aktionismus wird der Ausschuss auch weiterhin nicht auskommen“ bezeichnet. Außerdem wurde die Frage gestellt, ob es für die Opposition nun Sieg oder Niederlage darstellt, wie der Ausschuss weitergeführt wird. Darum geht aber nicht, um „Sieg oder Niederlage“. Die Koalition hat sich mit diesem unrühmlichen Ende eine riesige Niederlage selbst zugefügt, nach dem starken Beginn ein wahres Kunststück, den Versuch seriöser Arbeit schließlich doch noch in bewährter Manier in Schutt und Asche zu legen.
Bildrechte: Some rights reserved by Sirelroka
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[Kolumne/Walter Schaidinger/03.10.2012]
Kolumne/Walter Schaidinger
07.11.2017 Salat Mimosa
05.10.2017 Enttäuscht II
07.09.2017 Enttäuschung
08.08.2017 Presselandschaft Österreich
07.07.2017 Arnulf Rainer
01.06.2017 Schablonen
09.05.2017 Dünne Luft
28.03.2017 Und niemals nicht vergessen!
14.02.2017 Der Weltraum
19.10.2016 Reicht es?
31.08.2016 Folgen
12.07.2016 Cerebrexit
30.05.2016 Alles wird gut?
26.04.2016 ?
31.03.2016 Aus dem Zusammenhang
16.03.2016 The sixth sense
04.02.2016 Vorwurfkultur
03.12.2015 Werte
02.11.2015 Erweiterung
14.09.2015 Parteienverkehr
17.08.2015 Armutsgrenze neu
11.06.2015 Klimawandel
18.05.2015 Österreich
17.04.2015 Steiermark heute
06.03.2015 Älterwerden
06.02.2015 Erkenntnisse
24.11.2014 Schubumkehr
24.10.2014 Zerrspiegelkabinett
15.09.2014 Vorwärts in die Vergangenheit
04.08.2014 Alles in Ooooordnuuuuuuung!
13.06.2014 Feindschaft!
16.05.2014 Zero Tolerance
04.04.2014 Man wird es wohl einmal sagen dürfen!
07.02.2014 10 Jahre Kulturhauptstadt Seiersberg
19.12.2013 Pisa
07.11.2013 Der Tankwart mit dem Buch und andere unvorstellbare Dinge
23.09.2013 Abendland in Christenhand
23.08.2013 Das Sommerloch
24.07.2013 Guten Morgen Österreich
01.07.2013 Steiermark
27.05.2013 Ergebnisse
08.04.2013 Gewählt
22.01.2013 Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung
10.01.2013 Zuallererst
04.12.2012 Achtung: Zug hält nur bei Bedarf!
25.10.2012 Organscreening
03.10.2012 Rücktrittskultur
12.09.2012 Verdruss
21.08.2012 SCHILDA GRAZ
16.07.2012 In der Mitte liegt gar nichts mehr
27.06.2012 Schichtwechsel
11.06.2012 Oberschicht